Text zur CD von Ulrich Hartmann
Saiten und Zeiten
Mit Mandoline und Gitarre quer durch die Jahrhunderte
Die landläufige Vorstellung vom idyllischen Tremolo der Mandoline, das Sonne und Lebenslust des Südens musikalisch illustriert und sich unwillkürlich mit neapolitanischer Folklore verbindet, mag darüber hinwegtäuschen, dass dieses Instrument ursprünglich vor allem die Funktion eines anspruchsvollen Konzertinstruments genoss. Nicht umsonst machten es Mozart und Beethoven mit eigenen Kompositionen unsterblich, bevor es namentlich die italienische Volksmusik für sich vereinnahmte. Wie auch immer: Ihr intimer Klangzauber, den die Mandoline mit der aus Arabien stammenden Gitarre teilt, machte beide Instrumente zum idealen Klangmittel stiller Leidenschaft und leiser Sehnsüchte. Der große Verführer Don Giovanni bediente sich der Mandoline zur berühmten Romanze in Mozarts Drama, und dass der Gitarre ähnliche Aufgaben zur Beschwörung zärtlichen Liebesglücks zukommen, wird auch in der Malerei ausgiebig dokumentiert. Die sinnliche Klangaura der Gitarre hat auch Astor Piazzolla erkannt, einer der größten Komponisten Argentiniens und als „König des Tango“ verehrt. In der Tango-Metropole Buenos Aires machte er nachts als Meister des Bandoneons Karriere, um sich tagsüber dem Studium der Komposition bei Alberto Ginastera zu widmen. Später holte er sich bei Nadja Boulanger in Paris den letzten Schliff. In seiner „Histoire du Tango“, konzipiert als kleiner Zyklus für Flöte und Gitarre, zeichnete er die Geschichte des verführerischen Tanzes nach, beginnend in einem Bordell der Jahrhundertwende, dann im noblen Café der 30-er Jahre und schließlich in einem Nachtclub von 1960, das bereits vom Einfluss des amerikanischen Jazz gezeichnet ist. Ein großer Sprung zurück in die Zupfgeschichte führt zurück zu Niccolò Paganini. Jeder kennt ihn als Hexenmeister der Geige, doch viel weniger bekannt ist, dass er mit gleicher Hingabe Mandoline und Gitarre spielte. Viele Originalwerke mit und für Gitarre stammen aus seiner Feder, darunter auch „Centone di Sonate“. Das vierte Werk dieser Reihe zeugt in seiner reizvollen Kombination einer getragenen Huldigung an den Belkanto (Adagio Cantabile) mit einem vitalen Rondo (Andantino Allegretto) vom ausgeprägten Sinn des legendären Virtuosen für schmeichelhafte Kantabilität und brillante Wirkung. Paganinis Landsmann Enrico Marucelli, der 1877 in Florenz geboren wurde und nur 30 Jahre alt wurde, hatte einen nicht minder ausgeprägten Sinn für spektakuläre Klangwirkungen. Als junger und populärer Mandolinenlehrer bewegte er in London buchstäblich die Massen, zunächst mit einem über 60köpfigen Damenzupforchester mit überaus noblen Mitgliedern. In der St. James Hall dirigierte er um die Jahrhundertwende eine Band aus sage und schreibe 500 Musikern. Die geradezu theatralische Attitüde seines feurigen „Capriccio Zingaresco“ und der narkotisierende Taumel des „Valtzer Fantastico“ machen seinen Erfolg ohne weiteres und unmittelbar begreiflich. Mit Carlo Munier stoßen wir quasi zum Herzen der Mandolinenwelt vor: Neapel, die unbestrittene Kapitale dieses Instruments, zugleich Brutstätte einer ganzen Heerschar illustrer Zupfvirtuosen. Munier darf für sich den Rang eines ungekrönten Königs dieser Spezies beanspruchen. Nicht nur seine Kollegen und das Publikum des vielseitigen Mandolinenkünstlers verehrten ihn: 1909 soll kein Geringerer als König Victor Emmanuel II. nach einem Konzert Muniers ganz außer sich vor Entzücken gewesen sein – und verwundert über die wunderbaren Klangeffekte, zu denen dieses Instrument fähig sei. Die hohen Opuszahlen seiner Werke zeugen von außergewöhnlicher Produktivität, und das erste Concerto op. 163 sowie die beschaulich-grazösen Variationen op. 281 sind vorzügliche Beispiele für jenen Einfallsreichtum, den schon der italienische König bewunderte. Virtuosen vom Schlage Muniers haben maßgeblich dazu beigetragen, den Ruhm ihres Instruments auch in ferne Länder zu tragen. Gleiches ist dem Duo dieser Aufnahme nicht zuletzt im Baltikum gelungen: Auch in Estland haben Boris Björn Bagger und Detlef Tewes eine Reihe von Komponisten zu origineller Musik inspiriert. Dabei ist „Sincerely“ des jungen Valdo Preema ein Musterbeispiel für eine höchst animierte, stimmungsvolle Petitesse, die ihren Titel als Zeugnis ehrlicher Ergebenheit fürwahr verdient. Der allzu früh verstorbene Este Raimo Kangro hat diesen Titel hintergründig und gewitzt aufgenommen und in sein launiges „Alla sincerone“ umgemünzt, einen kunstvoll-bizarren Dialog, der herben Klangsinn, energische Rhythmik und kapriziöse Impulsivität kunstvoll kombiniert. Eine nicht minder dynamische Verbeugung vor gezupfter Spielkunst ist „For B.B.B. and his friends“ von Lepo Sumera, dem großen nordischen Symphoniker. Hier sprudelt die Fantasie geradezu aus der unversiegbaren Quelle spontaner, urtümlicher motivischer Einfälle. Bachs Präludium BWV 999, überkrönt von Zoltan Kodálys Kantilene, rundet den kontinentalen Brückenschlag der Stile und Zeiten im Dialog von Mandoline und Gitarre stimmungsvoll ab, gleichsam als letztes Plädoyer dieses Programms für zwei mitunter immer noch verkannte Instrumente.
Detlef Tewes
steht bei führenden Dirigenten und Orchestern als Synonym für den universellen Mandolinenvirtuosen. 1989 schloss er an der Musikhochschule Köln Institut Wuppertal seine Studien mit dem Konzertexamen ab, bereits zuvor war er 1979 1. Bundespreisträger des Wettbewerbs „Jugend musiziert“ und Kulturpreisträger der Stadt Essen sowie 1983 Preisträger der 28. Bundesauswahl junger Künstler „Podium junger Solisten". Als Solist wirkte er bei zahlreichen Rundfunk-, Fernseh- und CD-Produktionen mit. Er arbeitet regelmäßig mit Dirigenten wie Claudio Abbado, Pierre Boulez, James Levine, Lorin Maazel und Simon Rattle zusammen. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Musik des 20. Jahrhunderts mit dem Scharoun-Ensemble der Berliner Philharmoniker, dem Ensemble Klangforum Wien, dem Ensemble Intercontemporain Paris und vor allem in zahlreichen Uraufführungen mit dem Ensemble Modern Frankfurt, darunter „The Yellow Shark“ von Frank Zappa. Zu den Kammermusikpartnern, mit denen Tewes regelmäßig musiziert, zählen Künstler wie der Klarinettist Ulf Rodenhäuser, der Geiger Ernö Sébéstyn, Enrique Santiago (Viola) und Martin Ostertag (Violoncello). Neben der Mandolinen Konzertgesellschaft Wuppertal dirigiert Detlef Tewes auch das Mandolinen-Orchester Bayer Leverkusen und das Jugendzupforchester Baden-Württemberg. Seine führende Stellung als Dirigent wird darüber hinaus durch die regelmäßige Berufung als Dozent für die Aus- und Fortbildung der Dirigenten des BDZ unterstrichen. Detlef Tewes hat als Dirigent und Solist Konzertreisen durch ganz Europa, in die USA, nach Brasilien, Japan und Australien unternommen.
Boris Björn Bagger
ist Träger des Marienland-Ordens, der höchsten Auszeichnung, die der estnische Staatspräsident für kulturelle Verdienste verleiht. Als Deutscher und Este ist Bagger gleichsam in beiden Ländern zu Hause. Er lehrt an der Musikhochschule Karlsruhe, musiziert mit der Badischen Staatskapelle und tritt als Solist und Konzertgitarrist von internationalem Rang in vielen Ländern mit großem Erfolg auf. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Aufführung estnischer Musik von Komponisten wie Lepo Sumera, Jaan Rääts oder Urmas Sisask. Sie steht auch im Mittelpunkt des 1992 von Bagger gegründeten Musikverlags edition 49, der seinen Sitz in Karlsruhe und Tallinn hat. Auf Initiative und unter der künstlerischen Leitung Boris Björn Baggers wurden 1992 in Karlsruhe die Europäischen Kulturtage zum Thema Estland ausgerichtet, der bis dahin größte Kulturexport der Republik an der Ostsee. Boris Björn Bagger wurde in Karlsruhe geboren. Er studierte an der dortigen Musikhochschule sowie in Freiburg bei Mario Sicca und Sonja Prunnbauer. Meisterkurse führten ihn zu Julian Bream, Narciso Yepes, Wolfgang Lendle und Siegfried Behrend. 1978 war Bagger Mitbegründer der Camerata Karlsruhe und gründete das Deutsche Gitarrenquartett. Als ständiger Gast musizierte er u.v.a. als Solist mit dem Ensemble 13 unter Manfred Reichert, mit dem Sinfonieorchester des SWR, mit der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Bagger arbeitete außerdem mit namhaften Solisten wie Martin Ostertag, Tabea Zimmermann, Kalle Randalu und Jean-Claude Gérard sowie Dirigenten wie Pierre Boulez und Michael Gielen zusammen. Seine Vielseitigkeit bewies er bei Konzertreisen quer durch Europa und nach Kanada, ferner bei zahlreichen Aufnahmen für Rundfunk und Fernsehen. Renommierte Komponisten widmeten ihm über 30 Werke (darunter drei Gitarrenkonzerte).
Als Duo ernten Detlef Tewes und Boris Björn Bagger immer wieder höchstes Lob bei Publikum und Presse. Die Kritik schrieb: „Wer diese beiden Virtuosen noch nicht gehört hat, macht sich keine Vorstellung davon, welche intensiven Eindrücke ein so unscheinbares Instrument wie die Mandoline hinterlassen kann, besonders wenn sie von einem der größten lebenden Mandolisten gespielt und von einem der besten Konzertgitarristen der Welt so harmonisch ergänzt wird." (Solinger Tagblatt)
Strings through the Centuries
Mandolin and guitar music throughout the ages
The widespread, seemingly inevitable association of the mandolin's idyllic tremolo to Neapolitan folklore, and the sunshine and joie de vivre of the Mediterranean lifestyle, may deceive us into forgetting that this instrument was originally intended to serve the function of a major concert instrument. With good reason did Mozart and Beethoven dedicate works of their own to it, thus imbuing it with immortal fame, before Italian folk music took it for its own. However that may be, its intimate, magical sound, which it shares with the guitar, also of Arabian provenance, made both instruments ideal means for giving musical expression to quiet passion and soft longing. The great seducer Don Juan uses the mandolin for the famous romance in Mozart's opera, and the guitar's gift of conjuring up the tender stirrings of romantic love is abundantly testified in paintings. The sensual musical aura of the guitar was also recognized by Astor Piazzolla, one of Argentina's greatest composers, known as the "King of Tango". In the tango metropolis of Buenos Aires, he pursued a night-time career as master of the bandoneon in order to be able to study composition with Alberto Ginastera during the day. Later, he refined his art in Paris with Nadja Boulanger. In his "Histoire du Tango", conceived as a small cycle for flute and guitar, he traces the history of this seductive dance, starting in a bordello around the turn of the century, following it to an aristocratic cafe in the 1930's and finally ending in a night club in 1960, where it is already marked by the influence of American jazz. A big leap back in the history of plucked strings brings us to Niccolò Paganini. Everyone knows him as the diabolical master of the violin; less well known is the fact that he was an equally ardent player of guitar and mandolin. He wrote a large number of works with and for the guitar, including "Centone di Sonate". The appealing combination of a dignified homage to belcanto (adagio cantabile) and a vibrant rondo (andantino allegretto) in the fourth work of this series testifies to the legendary virtuoso's keen sense of engaging cantabile and brilliant effect. No less acute was the feeling for spectacular musical effects possessed by Paganini's fellow countryman Enrico Marucelli, who was born in Florence in 1877 and only reached the age of thirty. When a young, popular mandolin teacher in London, he literally moved the masses, at first with a sixty-piece orchestra of plucked instruments for ladies only and consisting of quite noble members. Around the turn of the century, he conducted a band of no fewer than 500 musicians in St. James Hall. The thoroughly theatrical posture of his fiery "Capriccio Zingaresco" and the narcotic rapture of his "Valtzer Fantastico" make the reason for his great success directly and eminently clear. Carlo Munier takes us to what might well be called the heart of the world of the mandolin: Naples, the instrument's indisputable capital and at the same time the breeding ground for a host of illustrious virtuosos of the plucked string. Munier can easily defend a claim to being the uncrowned king of this species. Not only did his fellow musicians and his audience honor this versatile artist of the mandolin, but no less a personage than King Victor Emmanuel the Second is said to have been outside himself with delight after a concert given by Munier – and amazed at the wonderful musical effects this instrument was capable of producing. Munier's large number of published works, attested by the high opus numbers, show him to have been extraordinarily productive, and his first concerto, op. 163, as well as the contemplative, graceful variations, op. 281, are excellent examples of the vivid ingenuity which the Italian king had admired earlier. Virtuosos of Munier's ilk were actively involved in carrying the fame of their instrument to far places. The same can be said of the duo featured on this recording, not least in the Baltic region. Even in faraway Estonia, Boris Björn Bagger and Detlef Tewes inspired a number of composers to write original compositions for them. "Sincerely", by the young composer Valdo Preema, is but one prime example: a highly animated, entertaining little piece which truly deserves its title as a testimony of genuine devotion. The Estonian composer Raimo Kangro, who passed away at much too young an age, used this title in a witty and subtle manner to produce his temperamental "Alla Sincerone", an artistically bizarre dialogue combining acerbic significance, energetic rhythms and capricious impulsiveness. A no less dynamic bow before the art of plucked instruments is "For B.B.B. and his Friends" by Lepo Sumera, the great Nordic composer of symphonic music. Here imaginative resourcefulness seems fairly to bubble up from an inexhaustible fount of spontaneous ideas for original motifs. Bach's Prelude BWV 999, crowned by Zoltan Kodály's cantilena, rounds off the bridge linking styles and periods across the continent in this dialogue between mandolin and guitar with great aplomb, rather as a final appeal for two instruments still waiting to receive the recognition due them.
Detlef Tewes is considered by many leading conductors and orchestras to be the epitome of the all-round mandolin virtuoso. In 1989 he concluded his studies at the Musikhochschule Köln Institut Wuppertal with a concert examination, after already having won first prize in the German competition "Jugend musiziert" and the cultural prize of the City of Essen in 1979, as well as being chosen to be an award winner at the 28th "Podium junger Solisten" for young German artists in 1983. He has worked together as a soloist with a large number of radio, television and CD productions, and regularly appeared with such conductors as Claudio Abbado, Pierre Boulez, James Levine, Lorin Maazel and Simon Rattle. One of his primary interests in his work is music of the twentieth century, which he plays together with the Scharoun Ensemble, made up of members of the Berlin Philharmonic, the Ensemble Klangforum Wien in Vienna, the Ensemble Intercontemporain Paris and, above all, in the many premieres he performs as a member of the Ensemble Modern Frankfurt, including "The Yellow Shark" by Frank Zappa. Among his chamber music partners are such accomplished artists as the clarinetist Ulf Rodenhäuser, the violinist Ernö Sébéstyn, Enrique Santiago (viola) and Martin Ostertag (violoncello). Apart from the Mandolinen Konzertgesellschaft Wuppertal, Detlef Tewes also conducts the Mandolinen-Orchester Bayer Leverkusen and appears with the Jugendzupforchester Baden-Württemberg. His outstanding position as conductor is enhanced by regular calls to serve as a teacher in basic and advanced training courses for conductors of the BDZ. Detlef Tewes has undertaken conducting and solo tours throughout Europe and the U.S.A., as well as to Brazil, Japan and Australia.
Boris Björn Bagger is a holder of the Order of the Cross of Terra Mariana, the most distinguished honor awarded for cultural merit by the Estonian State President. Being both German and Estonian, Bagger is at home in either country. He teaches at the Musikhochschule Karlsruhe, performs with the Badische Staatskapelle and has successfully appeared in many other countries as a soloist and concert guitarist of international standing. One of his main interests is performing Estonian music by composers such as Lepo Sumera, Jaan Rääts or Urmas Sisask. This music is also a central focus of edition 49, the music publishing house Bagger founded in 1992 with headquarters in Karlsruhe and Tallinn. At the initiative of Boris Björn Bagger, and under his artistic direction, the Europäische Kulturtage took Estonia as its theme, up to that time the greatest cultural export of this republic on the shores of the Baltic Sea. Boris Björn Bagger was born in Karlsruhe. He studied at this city's Musikhochschule, as well as in Freiburg with Mario Sicca and Sonja Prunnbauer. Master courses led him to meet Julian Bream, Narciso Yepes, Wolfgang Lendle and Siegfried Behrend. In 1978 Bagger was co-founder of the Camerata Karlsruhe and founder of the Deutsches Gitarrenquartett. He has appeared as a permanent guest soloist with the Ensemble 13 conducted by Manfred Reichert, with the Symphony Orchestra of the SWR and with the Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Bagger has also worked together with such renowned soloists as Martin Ostertag, Tabea Zimmermann, Kalle Randalu and Jean-Claude Gérard as well as conductors Pierre Boulez and Michael Gielen. He has demonstrated his versatility on concert tours to Canada and throughout Europe, as well as on many recordings for radio and television. Well-known composers have already dedicated thirty works to him, including three guitar concertos.
As a duo, Detlef Tewes and Boris Björn Bagger have earned the acclaim of audiences and the press time and time again. One reviewer wrote, "Whoever has not yet heard these two virtuosos cannot imagine that such an unassuming instrument as the mandolin can leave behind such intense impressions, especially when it is played by one of the greatest living mandolin virtuosos, together with one of the best concert guitarists in the world." (Solinger Tagblatt)